Wavys Werk und Davids Beitrag

Wer ist schon gern berechenbar? Ein Gespräch mit einer Welle über ihre Simulationen.


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Stimme aus dem Nichts: Warum hat Gott nicht gesprochen „Es werde Schall!“?

Ich: Keine Ahnung.

Stimme aus dem Nichts: Hat er schon, es hat nur niemand gehört.

Ich: Sehr witzig. Wer ist da und warum sehe ich dich nicht?

Stimme aus dem Nichts: Ich bin Wavy, die akustische Welle. Du kannst mich nicht sehen, sondern
nur hören.

Ich: Das ergibt Sinn. Ich heiße David. Es freut mich dich endlich kennen zu lernen. Ich habe meine
Doktorarbeit über dich geschrieben.

Wavy: Ach ja? Um was geht es darin?

Ich: Ich habe Fehlerabschätzungen für Finite Elemente Lösungen von Wellengleichungen mit
dynamischen Randbedingungen bewiesen.

Wavy: Wie bitte? Wenn du glaubst mich durch „Fachchinesisch“ beeindrucken zu können, hast du
dich geschnitten.

Ich: Natürlich nicht, verzeih mir. Dann lass mich mit einer Frage beginnen: Weißt du wie ein
Mikrofon funktioniert?

Wavy: Klar. Geräusche sind kleine Schwankungen im Luftdruck. Da Druckunterschiede durch
Luftaustausch mit der Umgebung ausgeglichen werden, breiten sie sich als akustische Welle aus.
Ich transportiere also Geräusche durch den Raum. Ein Mikrofon funktioniert ähnlich wie ein Ohr:
Es enthält eine dünne Membran, die zu schwingen beginnt, wenn ich auf sie treffe. Diese
Schwingungen werden in elektrische Signale umgewandelt. Beim Trommelfell wären es
Nervensignale. Aber ich schweife ab.


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Ich: Tust du nicht. Ich habe nämlich die Genauigkeit von Wellensimulationen untersucht.
Insbesondere wollte ich herausfinden, ob Reflexionen an Membranen die Genauigkeit
beeinträchtigen.

Wavy: Meinst du Simulationen wie für Wetterprognosen? Wenn ich weiß, dass es regnen wird, kann ich den Regenschirm einpacken. Aber was nutzen denn Simulationen von akustischen Wellen?

Ich: Stell dir Simulationen wie virtuelle Experimente vor. Die haben viele Vorzüge. Zum Beispiel kann man den Klang eines Konzertsaals simulieren ohne diesen tatsächlich bauen zu müssen. Außerdem, und das ist fast noch wichtiger, kann man die Ausbreitung der simulierten Wellen genau nachvollziehen. Ein reales Experiment kann nur Daten an einzelnen Messpunkten liefern. Von der Teilchenphysik über unsere Energieversorgung bis zur Raumfahrt – Simulationen sind aus der Forschung und Entwicklung heutzutage nicht mehr wegzudenken.

Wavy: Das klingt zu gut um wahr zu sein. Wo ist da der Haken?

Ich: Du hast recht, es gibt sogar zwei Haken. Erstens basieren Simulationen auf mathematischen Modellen. Ob diese Modelle etwas taugen, muss erst in realen Experimenten überprüft werden. Vorhin habe ich die Wellengleichung erwähnt. Sie modelliert die Ausbreitung von akustischen Wellen in der Luft. Für ein vollständiges Modell braucht man zusätzlich noch Bedingungen am Rand des Simulationsgebiets, die beschreiben, wie die Welle reflektiert wird.

Wavy: Das hängt stark vom Hindernis ab. Zum Beispiel werde ich von einer Betonwand ähnlich reflektiert wie Licht von einem Spiegel. Deshalb kannst du um die Ecke eines Gangs hören. Die Membran eines Mikrofons reflektiert mich jedoch komplett anders.


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Ich: Im Gegensatz zur Betonwand würde ich die Membran deshalb mit dynamischen
Randbedingungen modellieren. Aufgrund ihrer Dynamik können diese berücksichtigen, dass die Schallwelle die Membran zum Schwingen anregt und umgekehrt. In diesem Sinne beschäftigt sich meine Doktorarbeit also mit besseren Modellen für Wellenreflexionen.

Wavy: Und was ist der zweite Haken an Simulationen?

Ich: Die Gleichungen der Modelle können nur in wenigen einfachen Fällen exakt gelöst werden.
Stattdessen verwendet man numerische Verfahren, um Näherungslösungen mit Computern zu
berechnen.

Wavy: Das beruhigt mich. Die Vorstellung man könne mich berechnen, behagt mir nicht besonders. Sind Computer nicht so gut im Rechnen wie ihr Name vermuten lässt?

Ich: Doch, aber auch sie können nur mit endlich vielen Zahlen umgehen. Um beispielsweise einen Funktionsgraphen auf einem Computer darzustellen, speichert dieser die Funktionswerte nur an bestimmten Punkten. Bei Bedarf werden fehlende Werte aus den Daten an den umliegenden Punkten geschätzt. Numerische Verfahren für diesen Zweck nennt man Interpolationsverfahren.

Wavy: Ich würde die beiden Nachbarwerte einfach mit einer Geraden verbinden.

Ich: Gute Idee und tatsächlich ist das schon ein einfaches Interpolationsverfahren. Die numerische Lösung von Wellengleichungen ist aber deutlich komplexer. Ich verwende die vorhin erwähnte Finite Elemente Methode. Dazu legt man ein Gitter in das Simulationsgebiet. Das Verfahren liefert dann Gleichungen, die nachahmen, wie sich die Welle von Gitterpunkt zu Gitterpunkt ausbreitet. Dabei gilt: Je feiner das Gitter, desto besser die Lösung. Mich interessiert, wie die Genauigkeit der Lösung von der Größe der Gitterzellen abhängt.


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Wavy: Dass du Mathematiker es wieder genau wissen willst, ist mir klar. Alle Anderen nehmen
einfach ein feines Gitter und sind zufrieden, oder?

Ich: Nein. Denn sogar die Rechenleistung unserer heutigen Supercomputer kommt schnell an ihre Grenzen: Ein Gitter mit je 1000 Punkten in alle drei Raumrichtungen hat 1000 hoch 3, also eine Milliarde, Punkte. Und das ist noch nicht einmal viel. Große Simulationen können Wochen dauern. Um Ressourcen zu sparen will man deshalb nur so genau wie nötig rechnen.

Wavy: Aber wenn du die exakte Lösung nicht kennst, wie kannst du dann die Genauigkeit des
Verfahrens bestimmen?

Ich: Indem ich abschätze wie groß der Fehler maximal wird. Das geschieht in drei Schritten: Der erste Schritt ist es zu erkennen, dass der Computer die exakte Welle nicht darstellen und damit auch nicht berechnen kann.

Wavy: Weil das Verfahren selbst im Idealfall nur an den Gitterpunkten exakte Wert liefert?

Ich: Genau, das wäre die interpolierte Welle. Und diesen Darstellungsfehler macht das Verfahren immer. Zu Beginn der Simulation ist das noch der einzige Fehler. Nun verwendet der Computer aber nicht die richtige Wellengleichung, sondern nur eine Imitation. Deshalb unterscheidet sich die simulierten Welle immer mehr von der interpolierten Welle. Im zweiten Schritt identifiziere ich die Ursachen für diese wachsende Ungleichheit. Dazu verwende ich eine Eigenschaft, die alle Wellen, ob simuliert oder nicht, haben: Ihre Energie wächst nur durch Einwirkung von außen.


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Wavy: Das stimmt.

Ich: Der Trick ist nun die Differenz aus interpolierter und simulierter Welle wieder als Welle zu
interpretieren. So kann ich alle Fehlerquellen aus den äußeren Einwirkungen ablesen. Im letzten
und schwierigsten Schritt untersuche ich dann diese Fehlerquellen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass für die Größe des Fehlers nur zwei Faktoren entscheidend sind. Erstens: Wie gut kann das Verfahren die exakte Welle darstellen? Und zweitens: Wie gut werden die einzelnen Teile der Wellengleichung von dem Verfahren nachgeahmt?

Wavy: Das hört sich alles ziemlich allgemein an. Was hat das noch mit akustischen Wellen und
Finiten Elementen zu tun?

Ich: Nichts. Aber das ist gerade das Tolle daran. Da ich im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs
über Wellenphänomene promoviert habe, arbeiten viele meiner Kollegen an ähnlichen Themen. Das
war spitze, weil man sich untereinander austauschen kann. Im Laufe von vielen Diskussionen,
Vorträgen und meiner Literaturrecherche ist mir aufgefallen, dass auch Fehleruntersuchungen von
anderen Wellensimulationen häufig dem gleichen Schema folgen. Also habe ich mich gefragt: Kann
man das nicht einmal allgemein zeigen und sich so zukünftig Arbeit sparen? Dass mir das
tatsächlich gelungen ist, macht mich stolz. Meine Fehlerabschätzungen sind für verschiedene
Wellenarten und verschiedene numerische Verfahren gültig.

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Wavy: Andere Wellenarten? Meinst du meine Schwester, die elektromagnetische Welle? Sie wurde mit „Es werde Licht!“ schon im altem Testament erwähnt. Oder meinst du meinen Bruder, die elastische Welle? Wenn eine Maschine vibriert, die Erde bebt oder eine Gitarrensaite gezupft wird, dann ist er am Werk.

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Ich: Meine Resultate gelten für euch alle drei. Wenn du also einmal die Genauigkeit einer
Wellensimulationen überprüfen willst, dann muss du dafür nicht zuerst Mathe studieren. Stattdessen
kannst du meine Ergebnisse anwenden. In Kombination mit Abschätzungen für die beiden
Fehlerfaktoren erhältst du daraus direkt die Genauigkeit.

Wavy: Ich müsste also doch noch etwas beweisen.

Ich: Meistens nicht. Bei der Finite Elemente Methode setzten sich die beiden Fehlerfaktoren aus
Interpolations- und Geometriefehlern des Gitters zusammen. Da die Methode in den 50er Jahren
entwickelt wurde, ist sie gut erforscht. Man könnte also einfach googlen, wie sich diese Fehler bezüglich der Größe der Gitterzellen verhalten. Ich habe alles zusammengesetzt und so gezeigt, dass sich der Fehler halbiert, wenn die Größe der Gitterzellen halbiert wird. Und das unabhängig davon, ob man die Wellen mit oder ohne dynamische Randbedingungen simuliert.

Wavy: Dank dir müssen Anwender also weniger Mathematik machen? Ich mag, wie du denkst.

Ich: Das ehrt mich. Danke für dein Interesse.

Wavy: Ich werde gleich meinen Geschwistern davon erzählen. Auf Wiederhören und – du weißt ja –
immer schön wavy bleiben.

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